Kinder brauchen Grenzen!

Liebe Eltern, als Kinderärzte empfehlen wir dringend, dass unsere Kinder von Beginn an wieder lernen mit Grenzen umzugehen: eine völlig antiautoritäre Erziehung war vor mittlerweile über 50 Jahren die Gegenreaktion der autoritären Erziehung, als die Kinder mit ihren Eltern noch per Sie waren, was dann in den 60er Jahren verschwand. Mittlerweile sind aber über 50 Jahre vergangen und das Pendel, welches zuerst von ganz rechts nach ganz links schwang, hat sich leider noch nicht in der Mitte "eingependelt", und wie so oft ist die goldene Mitte nicht umsonst Gold wert! 

Zusammenfassung

Es sollte nicht versäumt werden, Kindern klare Grenzen aufzuzeigen. Grenzen stellen eine sinnvolle Orientierungsmöglichkeit für Kinder dar. Grenzüberschreitungen sollten geahndet werden, um die Bedeutung einer Grenze auch auf diese Weise zu betonen. Auf das richtige Verhältnis zum Fehlverhalten ist unbedingt zu achten. Konsequenz ist sehr wichtig, d.h. dem gleichen Verhalten des Kindes muss die gleiche Reaktion des Erziehungsberechtigten folgen. Das Ziel besteht darin, dass das Kind Verantwortung für sein Handeln (seine Fehler) übernimmt. Die Erziehung gelingt am besten, wenn außer dem Grenzensetzen ausreichend (viel) Zuwendung, Zeit und Liebe eingebracht wird.

Jede Woche führe ich Gespräche mit Eltern, deren Kinder keine Grenzen akzeptieren können. Da sitzt das 12-jährige Mädchen die ganze Freizeit am Computer, chattet, spielt und lässt sich nicht einmal auf 3 Stunden begrenzen, da es tobt und das Essen verweigert. Zudem will es das neueste Smartphone. Auf meine Frage, ob dem 12-jährigem Mädchen eigentlich klar ist, wie gut es ihm geht und dass der Großteil der Weltbevölkerung froh wäre, überhaupt ein Essen zu haben, bekam ich folgendes zur Antwort: "Ich lebe hier in Südtirol und zu dieser Zeit, deswegen habe ich das Recht, das zu bekommen!" Da ist eindeutig Einiges schiefgelaufen. Wenn das Mädchen erwachsen sein wird, wird es draufkommen, dass es nicht das Recht hat, ein Auto zu besitzen, usw., sondern dass man dafür hart arbeiten muss. Da wird dieses Mädchen dann nicht mehr mit der Realität fertig werden! 

Das Kleinkind darf nicht den Hof verlassen. Sagt die Mutter "Nein" , dann stellt das eine Grenze dar (der Wunsch des Kindes wird somit nicht erfüllt, das Thema ist vom Tisch!).

Weshalb sind Grenzen ungeheuer wichtig?

Ob Grenzen notwendig sind oder nicht - dieses ist unter Fachleuten heutzutage kein Thema mehr. Niemand sagt mehr, dass ausschließlich die totale Freiheit eine optimale Entwicklung gewährleistet. Zwischen den Extremen: Zucht- und Ordnung-Methoden der Urgroßeltern einerseits und den antiautoritären Idealen der 68er-Elterngeneration andererseits wird heute ein Mittelweg als am geeignetsten angesehen. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass der Mittelweg zwischen Autorität und Laisser-faire tatsächlich ein goldener ist.

Eine große Studie beweist: die selbstbewusstesten und kontrolliertesten, zufriedendsten, unternehmungslustigsten und unabhängigsten Kinder entwickelten sich bei einer Erziehung, die sowohl klare Grenzen beinhaltete, auf der anderen Seite aber auch eine besondere menschliche Wärme anbot. Ein Familienklima, das sich durch große Offenheit, Wärme und Liebevollsein auszeichnet, erleichtert Kindern das Grenzenbefolgen ungemein.

Da die Welt für das Kind voller Aufregungen und Geheimnisse steckt, unüberschaubar erscheint (und ist), braucht es Grenzen und Orientierung, um sich zurecht zu finden. Grenzen verschaffen Kindern eine Möglichkeit, sich sinnvoll zu orientieren.

Erspart man dem Kind dieses, so läuft es zwangsläufig gegen Mauern und stößt sich den Kopf, was vermieden hätte werden können. Das Leben selbst hält Grenzen bereit. Es ist also unrealistisch, dem Kind vorzumachen, dass alles machbar ist. Selbst wenn die Eltern und Großeltern immer so springen würden, wie das Kind es wünscht, wäre es unausweichlich, dass irgendwann eine Grenze auftaucht.

Beispiele: Die Erzieherin im Kindergarten widmet sich allen Kindern, nicht nur einem - und auch diesem nur so, wie sie es pädagogisch für richtig hält (erfüllt dem Kind eben nicht jeden Wunsch). Wer meint, dass einem als Fußgänger/Radfahrer die Straße gehört, wird sehr bald vom Gegenteil schmerzlich überzeugt. Jeder Schüler hat Erfahrung damit, dass man oft nicht die Zensur / die Beurteilung bekommt, die man sich vorgestellt hat. Es ist schwierig, einen Arbeitsplatz in einer bestimmten Firma / Behörde zu bekommen. Man wird nicht unbedingt so geboren und ausgestattet, wie man sich das ausgesucht hätte (Größe, Gesundheit, Intelligenz, Begabungen, Talente usw.). Anhand dieser paar Beispiele sieht man bereits, dass Grenzen zum Leben gehören und nicht zu leugnen sind.

Es gibt verschiedene Arten von Grenzen - dieses wurde eben auch deutlich: Einerseits setzen einem andere Personen und Institutionen Grenzen (Erzieherin, Lehrerin, der Partner, Schule, Firma, Behörde usw.), andererseits die Umwelt: Die Straße ist nun mal für Autos v.a. da; das Freibad hat im Herbst bereits geschlossen; wenn der Staat eine bestimmte Währung neu einführt, kann man sich dem nur fügen; falls auf dem Flughafen gestreikt wird, muss man Verspätungen oder Flugausfälle hinnehmen; ist eine Busfahrt ausgebucht, so kann man sich nur noch umorientieren.

Bestimmte Dinge sind so, weil es Papa und Mama so bestimmem, man muss nicht alles erklären, basta!

Nicht zu vernachlässigen sind an dieser Stelle die Grenzen, die einem die eigene Persönlichkeit setzt: Man spielt nicht Gitarre wie Santana, dichtet nicht wie Goethe oder profaner: Die Geduld lässt sehr zu wünschen übrig; ohne 9 Stunden Schlaf ist man nicht leistungsfähig; die Handschrift bleibt trotz intensiver Übung ein Gekritzel.

Wenn also die Umwelt sowieso genügend Grenzen bereithält, warum soll man dann zuhause den Kindern vermitteln, es gäbe keine? Hieran sieht man, dass das Verwöhnen nicht vorteilhaft ist. Als viel angemessener erscheint es daher, die Kinder schon frühzeitig an Grenzen zu gewöhnen. In dem Falle fällt es ihnen leichter, mit den Menschen und der Welt auszukommen. Ansonsten würden sie bei jeder Grenze verwundert sein, sich beschweren und gegen sie ankämpfen. Motto: Zuhause ging alles. Warum jetzt bloß nicht? Das kann doch nicht sein!! Es lohnt sich, Kindern einen anderen Weg aufzuzeigen. Grenzen- und schrankenlose Freiheit kann es nicht geben.

Kindern sollte auch gegen ihren Willen Grenzen deutlich gemacht werden. Schließlich sind sie noch nicht in der Lage, von einer übergeordneten Sichtweise aus das Ganze zu betrachten.

Je älter und reifer das Kind, desto besser erkennt es den Sinn und Zweck hinter Regeln, Geboten, Verboten und Grenzen. Sie merken, dass das Zusammenleben besser gelingt und mehr Freude macht, falls sich alle an gewisse Regeln und Grenzen halten.

Beispiele: Es begreift, dass man ausgeschlafen sein muss, wenn man den nächsten Tag fit und leistungsfähig sein möchte. Das Kind sieht ein, dass Feuer schnell gefährlich werden kann und deshalb erhöhte Umsicht nötig ist. Den Sinn von sozialen Regeln vermag es zu erkennen: jemanden ausreden lassen, zuhören können, Rücksicht nehmen, Kompromisse aushandeln, usw..

 

Literatur

Prof. Dr. Peter Struck: Erziehung für das Leben, Südwest Verlag, München, 2001

Knaurs großer Erziehungsratgeber, Weltbild GmbH, Augsburg, 2002

Annemarie Pfeifer: Erziehen mit Leibe und Konsequenz, Oncken Verlag, Wuppertal u. Kassel, 2000

Beate Weymann-Reichardt: Kindern klare Grenzen setzen, Südwest-Verlag, München, 2003

Autorin: 

Beate Weymann, Diplom-Sozialpädagogin